Das Ende meiner Chemotherapie

und der Beginn meines neuen Lebens

von Weg als Ziel

Mein Marathon der letzten Monate ist zu Ende. Meine Chemotherapie ist beendet. Genauso wie sie begonnen hat, hat sie auch geendet. Von heute auf morgen. Ganz plötzlich war sie vorbei. „Sie können das Krankenhaus morgen verlassen.“, surreale Worte die ich noch nicht begreifen kann.

Altbekanntes und neue Erfahrungen

Natürlich muss ich die nächsten Tage zwecks Kontrolle der Blutwerte in die Ambulanz kommen. Auch intravenös verabreichte Antibiotika begleiten mich noch einige Zeit. Denn natürlich war auch der letzte Chemozyklus eine Kopie der Vorangegangenen. Eine Infektion hier und ein bisschen Fieber dort gipfelten in einer letzten Abszessbildung. Einer operativen Entfernung konnte ich diesmal um haaresbreite entgehen. Ein sich selbst öffnender Abszess, eine neue Erfahrung für mich. Eine Erfahrung welche ich per Stoßgebet gen Himmel gefeiert habe. Auch der Aufenthalt in meinem neuerdings durch Bauplanen blickdicht verhangenen Isolationszimmer konnte meine Freude über die knapp entronnene Operation nicht trüben.

Die letzten Fieberschübe im Spital. Die letzte Infektion bevor es nach Hause geht. Man beachte die tolle Aussicht. Bauplanen erschweren den letzten Aufenthalt aus mentaler Sicht.

Die letzten Fieberschübe im Spital. Die letzte Infektion bevor es nach Hause geht. Man beachte die tolle Aussicht. Bauplanen erschweren den letzten Aufenthalt aus mentaler Sicht. Ich nenne eine Schuhschachtel mein Zuhause.

Eine neue Situation

Fast hätte ich vergessen. Eine weitere Knochenmarkpunktion, langes Warten auf die Ergebnisse und das die Therapie abschließende oberärztliche Gespräch stehen noch aus. Im Endeffekt die Quintessenz der letzten Monate. War die Therapie erfolgreich oder nicht? Trotz des noch offenen großen Fragezeichens fühle ich mich befreit. Die körperliche Geiselhaft in der Abgeschiedenheit des Krankenhauses ist nun beendet. Nach einer schieren Ewigkeit schlafe ich wieder in meinem eigenen Bett, in unserem Bett. Ich verbringe die Zeit nicht mehr alleine. Ohne Ablaufdatum und avisiertem nächsten Therapiedatum halte ich mich in den eigenen vier Wänden auf. Meine Partnerin Tina und unser gemeinsamer Hund Gina sind da wenn ich aufwache und auch dann wenn ich wieder ins Bett gehe. Keine von beiden punktiert in regelmäßigen Abständen meine Venen, keine reicht mir tagtäglich meine verordneten Medikamente. Um 11:30 öffnet sich keine Schleusentür zwecks mittäglicher Essensausgabe. Auch sonst bleibt die Haustüre verschlossen. Niemand stürmt herein. Kein Putztrupp, keine Diätologin und auch keine Psychoonkologin.

Die letzte Blutkonserve meiner Therapie. Mit fremdem Blut ist erstmals Schluss.

Die letzte Blutkonserve meiner Therapie. Mit fremdem Blut ist erstmals Schluss.

Bin ich nun geheilt? – Mangelnde Gewissheit

Ist der Krebs nun weg? Bin ich in Remission? Noch liegen die Ergebnisse der letzten Knochenmarkpunktion nicht vor. Das oberärztliche Gespräch ist derzeit noch ausständig. Ich gehe von einer erfolgreichen Therapie aus. Ich hoffe und vertraue. Bin ich geheilt? Das wird, unabhängig vom Ergebnis der Punktion, erst die Zeit zeigen. Erst wenn ich fünf Jahre ohne Rückfall (Rezidiv) bleibe, gelte ich aus medizinischer Sicht als geheilt. Schenkt man den Statistiken glauben, erlebt leider etwa die Hälfte der AML-Patienten bei denen die Chemotherapie erfolgreich war einen Rückfall. Aber Statistiken sind bekanntlich Statistiken. In dieser Zahl sind vermutlich weder Alter, Vorerkrankungen noch gesundheitlicher Allgemeinzustand berücksichtigt. Trotzdem gibt es keine Gewissheit. Aber gibt es die jemals?

Kleine Schritte in mein neues Leben

In jedem Fall ist es nun an der Zeit langsam in mein neues Leben zu starten. Diese fehlende Gewissheit und die intensiven Erfahrungen der letzten Zeit haben mich geprägt, machen mich zu einem neuen Ich. Ich habe mich intensiv mit Leben und Tod auseinandergesetzt. Mit Freude und Leid. Mit Altem und Neuem. Der Vergangenheit und der Zukunft.

Ich habe mir vorgenommen mit offenem Herzen durch die Welt zu gehen. Mit geliebten Menschen offene Dinge anzusprechen und an lose Fäden anzuknüpfen. Dinge zu bereinigen und zu einem guten Abschluss zu bringen. Mir wurde meine Vergänglichkeit unmittelbar vor Augen geführt. Es gibt keine Gewissheit. „Lebe jeden Tag als wäre es dein Letzter“, „Carpe Diem“ und andere abgedroschene Phrasen scheinen für mich plötzlich aktueller denn je. Ich möchte Dinge nicht unerledigt, nicht offen lassen. Ich rede nicht von offenen Terminen beim jährlichen Autoservice oder unbezahlten Rechnungen. Die Rede ist von ganz persönlichen Dingen, von den eigensten Wünschen und Vorstellungen, von den wichtigen zwischenmenschlichen Beziehungen. „Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.“ Morgen kann es zu spät sein. Ich möchte mich nicht in die ewigen Jagdgründe verabschieden und es bereuen Dinge nicht getan zu haben, Gespräche nicht geführt zu haben und lose Enden nicht geschlossen zu haben. Ich denke ohne Reue wird auch die Vergänglichkeit des Lebens annehmbar.

Die körperliche Ebene

Neben der seelischen und psychischen Ebene tritt auch meine physische Hülle ein in ihr neues Leben. Mit Hinblick auf die ursprüngliche Thematik dieses Blogs wird die Zukunft intensiv werden. Nicht nur die toxischen Zytostatika und unzähligen Medikamente forderten ihren Tribut. Nach Monaten der Inaktivität ist mein Körper und seine Leistungsfähigkeit degeneriert. Das zieht sich sprichwörtlich vom Scheitel bis zur Sohle. Der Haarwuchs ist vermindert und verändert (dunkler, weicher und welliger als vor der Therapie), das Gehirn ist im Chemonachspülprogramm („Chemo-Brain“) und die Fußsohlen schmerzen beim Auftreten. Zwischen Scheitel und Sohle sind sämtliche Muskeln rückgebildet und die Ausdauer ist nur mehr ein Schatten ihrerselbst.

Rehabilitation

Von einem Reset kann nicht die Rede sein. Ich starte nicht bei Null. Startpunkt ist sub zero, bei weniger als Null. Aber aus einem Tal gibt es auf Wanderschaft bekanntlich nur eine Richtung raus, nämlich nach oben. Komplexe Denkaufgaben und das spontane finden passender Worte fallen mir schwer. Immer wieder überkommt mich eine Müdigkeit und zwingt mich zu ausgedehnten Nickerchen. Einfache Tätigkeiten strengen mich enorm an und treiben mir den Schweiß auf die Stirn. Vermutlich Anzeichen des typischen Post-Chemo Fatigue Syndroms. Ausgedehnte Trailläufe und Weitwanderungen müssen jedenfalls vorerst warten. Zuerst geht es an meine grundlegende Rehabilitation. Körper, Geist und Seele wollen regeneriert und geheilt werden. Auch ohne die Gewissheit einer dauerhaften Heilung lebe ich von nun an den Moment.

Die einfachsten Aktivitäten strengen mich an. Nach 15 Minuten puzzeln brauche ich ein Nickerchen und der Rücken schmerzt vom Sitzen.

Die einfachsten Aktivitäten strengen mich an. Nach 15 Minuten puzzeln brauche ich ein Nickerchen und der Rücken schmerzt vom Sitzen.

Kannst du helfen?

Wenn du selbst etwas Gutes tun willst, dann kannst du gerne an eine der diversen Krebsorganisationen spenden. Der Verein  Geben für Leben hat sich z.B. der lebensrettenden Stammzellenspende für Krebspatienten mit Leukämie verschrieben. Dieser Verein führt u.a. Typisierungen für Stammzellenspender_innen durch. Dort kannst auch du dich registrieren und vielleicht Lebensretter_in werden.  Die  Österreichische Krebshilfe ist eine zentrale Anlaufstelle generell zum Thema Krebs.

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