Aller Anfang ist schwer. Selten hat ein Sprichwort so gut gepasst wie zu den Erlebnissen auf meiner allerersten Weitwanderung. Aus Fehlern lernt man bekanntlich. Damit ihr auf euren ersten Trekking- und Weitwanderabenteuern nicht mit derselben Härte am Boden der Realität aufschlagt wie ich damals, habe ich einen Bericht zu meinen Erfahrungen auf meiner ersten „Tortour“ geschrieben.
Wohin mich meine erste Weitwanderung geführt hat, wie es mir ergangen ist und welche Fehler ich gemacht habe erfahrt ihr in diesem Beitrag.
Meine erste Weitwanderung – Hintergrund und Ausgangspunkt
Im Juli 2011 war ich mit 26 Jahren ein junger Mann der kurz vor dem Studienabschluss stand. Nach Jahren des Daseins als Stadtmensch der weder besonders sportlich, risikoaffin noch abenteuerlustig war, kam in der Phase meines finalen Mannwerdens eine gewisse Sehnsucht auf. Eine Sehnsucht nach „Mehr“, nach etwas Speziellem, nach etwas, dass ich damals nicht verstand und auch heute noch nicht in Worte fassen kann.
Von meinem Vater hatte ich stets das Bild in einigen Punkten das komplette Gegenteil von mir zu sein. Das Gegenteil von eigentlich allen Menschen die ich damals kannte. Abenteuerlustig, freiheitssuchend und –liebend, sich nicht an Standards und Normen haltend. Ich wollte ein bisschen mehr davon sein.
Mit Mitte Zwanzig lag der letzte gemeinsame Urlaub mit meinem Vater bereits einige Zeit zurück. Es war also auch mal wieder an der Zeit gemeinsam etwas zu unternehmen. Ein gemeinsamer Pauschalurlaub stand nicht zur Debatte. Niemals hätte ich mir meinen Vater auf einer Strandliege an der Adria vorstellen können. Er wäre wahrscheinlich auch nicht bereit gewesen einen Pauschalurlaub anzutreten. Aus meiner damaligen Sicht unkonventionelle Weitwanderungen oder Radreisen waren seine Art sich eine Auszeit zu nehmen.
Mein innerer Wunsch meine Abenteuerlust zu entfachen und der Plan gemeinsam mit meinem Vater etwas zu unternehmen führte zur logischen Konsequenz einer gemeinsamen Wandertour. Einfach und schnell zu erreichen, einsteigerfreundlich, sollte das Vorhaben sein. Sämtliche Planung und die Auswahl der Route überließ ich meinem Vater.
Von der Haustüre aus startend sollte es von St. Andrä am Zicksee im österreichischen Burgenland zuerst an die ungarische Grenze gehen. Von dort immer grenznah bis in die Slowakei nach Bratislava. Anschließend auf slowakischer Seite der March Richtung Norden folgend bis nach Breclav in Tschechien. Der Wegverlauf sollte sich also am ehemaligen Eisernen Vorhang orientieren. Hier verläuft der „Iron Curtain Trail“ bzw. die Radroute EuroVelo EV13. Daumen mal Pi war etwa eine Distanz von 180 Kilometern veranschlagt. In der in dieser Region vorherrschend flachen Topografie sollte das locker machbar sein. „Es ist ja nur gehen. Ein Fuß vor den anderen. Das mache ich seit ich gehen kann.“ Mit dieser Einstellung bin ich also als totaler Anfänger mit meinem wandererfahrenen und vermutlich bescheidener denkenden Vater gestartet.
Um es kurz zu machen. Das geplante Ziel, Breclav in Tschechien habe ich nie gesehen. Mit einem Tagespensum von 40 Kilometern am ersten Tag bei hochsommerlichen Temperaturen habe ich selbst den Grundstein für meinen Niedergang gelegt. Es folgte ein weiterer Tag über etwa 40 Kilometer. Spätestens dann war mein Körper und Geist gebrochen. Zwei weitere Tage habe ich mich weitergeschlappt, weitergekämpft. Mein Vater stets ruhig und bedacht an meiner Seite, ich gab das Tempo und die Distanzen vor. Er sah seine Rolle als Support. Ich musste meine Erfahrungen selbst machen. „Wie kann das sein?! Wieso zerbröselt ein junger Mann Mitte Zwanzig an den Strapazen und ein älterer Mann Anfang Fünfzig scheint als wärme er sich gerade erst auf?“ – Ich habe die Welt nicht verstanden. Nach etwa 140 Kilometern war Schluss. In Hohenau an der March habe ich die Reißleine gezogen. Nach vier Wandertagen habe ich mich durchgerungen mein Scheitern einzugestehen. Größe zu zeigen und meine Schwächen einzugestehen. Schmerzende Füße, Blasen, die Auswirkungen der starken Sonne und Hitze. Ich hatte Angst einige physische Schäden würden dauerhaft bleiben. Neben den körperlichen Leiden stellten sich mentale ein. Ich hatte das Gefühl versagt zu haben. Mich selbst und meinen Vater enttäuscht zu haben.
Blicke ich heute zurück erkenne ich die Fehler welche zu meinem Leid geführt haben. Glücklicherweise hat mich diese Erfahrung nicht gebrochen. Ich habe gelernt, Erfahrungen gesammelt und bin gereift. Heute würde ich über die Strapazen und Herausforderungen meiner ersten Weitwanderung lachen. Aber ich tue es nicht. Es war ein wichtiger Schritt in einem langen Prozess. Vielleicht der wichtigste Schritt von allen. Denn so abgedroschen es klingt, aus Fehlern lernt man. Und Fehler habe ich 2011 auf meiner ersten Weitwanderung zahlreiche gemacht.
Fehler die ich gemacht habe
1. Tourenplanung und Herangehensweise
Die Tourenplanung auf meiner ersten Weitwandertour hat ausnahmslos mein Vater übernommen. Außer dem groben Routenverlauf wusste ich recht wenig was auf mich zukommt bzw. auf was ich mich einlasse. Informationen und Wissen über z.B.:
- Wegbeschaffenheit (z.B. Asphalt, Waldwege, etc.)
- Profil (viele Höhenmeter, flache Strecke, etc.)
- Wasserversorgung (z.B. Abstand zwischen Wasserquellen, etc.)
- Verpflegung (z.B. Vorkommen und Häufigkeit von Verpflegungsmöglichkeiten, Angebot, etc.)
- Wetter (kurzfristiger Wetterbericht, Klima, etc.)
- Übernachtung (grobe Übersicht über Übernachtungsmöglichkeiten wie z.B. Campingplätze am Weg, dichte Besiedlung die Stealth Camping erschwert, etc.)
helfen bei der erfolgreichen Bewältigung einer Weitwanderung. Es ist nicht zwingend notwendig alle Details im Vorhinein zu kennen oder zu planen. Eine grobe Übersicht und grundlegende Kenntnisse der bevorstehenden Tour inkl. der genannten Faktoren helfen jedoch ungemein.
Psychologisch hilft es nicht ins Ungewisse zu laufen. Muss ich mich in den nächsten Stunden auf flache, monotone Asphaltwege einstellen oder spaziere ich über weiche und abwechslungsreiche Waldböden? Wann kann ich mit der nächsten Wasserquelle rechnen? Kann ich es riskieren meinen letzten Schluck zu trinken oder muss ich sparsam mit dem Wasser umgehen? Wann kann ich in etwa damit rechnen auf eine geeignete Stelle für die Nacht zu stoßen? Wie wird das Wetter in den nächsten Tagen? Stehe ich z.B. früh auf um der Hitze bestmöglich zu entgehen oder kann ich eine Stunde länger schlafen und regenerieren?
Je weniger Unsicherheiten es auf der ersten Weitwandertour gibt, desto relaxter kann die Wanderung angegangen werden. Plagen mich Ängste, mache ich leichter Fehler. Beispielsweise eile ich von einem Gefühl der Sicherheit zum Nächsten um die Dauer der „Unsicherheit“ zu minimieren (z.B. an einem heißen Tag und unbekannter Wasserversorgung eile ich tendenziell von einem Brunnen zum Nächsten um nicht zu riskieren, dass ich ohne Wasser dastehe). Das führt dazu, dass ich tendenziell zu schnell gehe, die Tagedistanzen länger werden und ich im Endeffekt meinen Körper über die Belastungsgrenze hinaus beanspruche und somit anfällig für Verletzungen werde.
Ganz allgemein helfen eine eigene Tourenplanung bzw. die Kenntnis über von anderen geplante Touren bei der Einteilung und Herangehensweise an Etappen und sorgen somit für mehr physische Sicherheit und psychische Stabilität.
2. Ausrüstung
Zum Zeitpunkt meiner ersten Wandertour besaß ich keine eigene Ausrüstung für Abenteuer dieser Art. Mit Ausnahme einiger kleiner Ausrüstungsgegenstände wie z.B. einer Stirnlampe war mein Equipment ausgeborgt. Ein großvolumiger Reiserucksack wurde etwa von einer Bekannten ausgeborgt, die meiste andere Ausrüstung stammte aus dem erweiterten Fundus meines Vaters. Das war dann etwa ein 3 Personen Campingzelt oder eine selbstaufblasende Isomatte die üblicherweise ebenfalls am Campingplatz genutzt wurde.
Die Weitwanderung war auf Grund der Erfahrungen meines Vaters minimalistisch angelegt und es wurde nur die wesentliche Ausrüstung eingepackt. Trotzdem war die von mir geborgte Ausrüstung nicht für Weitwanderungen optimiert. Zu schwer und zu klobig waren etwa Zelt oder Rucksack. Der Rucksack der zwar für die Reisen meiner Bekannten ausreichend war, stellte sich als nicht für mich geeigneter Begleiter auf der Tour heraus.
Es fehlte außerdem die eigene Erfahrung mit der eingepackten Ausrüstung.
Ich kann nur dazu raten so viel Erfahrung mit der Ausrüstung zu sammeln wie nur möglich bevor es auf die erste Tour geht. Auch für neue Ausrüstung gilt: vor dem richtigen Einsatz immer ausgiebig testen.
Außerdem gilt für mich mittlerweile als unverzichtbares Credo: so leicht und kleinvolumig packen wie nur irgendwie möglich. Ein geringes Gewicht reduziert die Belastung des Körpers bei jedem einzelnen Schritt. Ein kleiner Rucksack verschiebt den Schwerpunkt nah an den eigenen Körper, man bleibt agiler und die Belastung auf Schultern und Rücken sind kleiner.
3. Füße und Schuhe
Vor meiner ersten Tour besaß ich kein Paar Schuhe für den Outdooreinsatz. Nach eingehender Beratung in einem großen Sportfachgeschäft in Wien war ich jedoch schnell stolzer Besitzer meines ersten Paares. Ein Paar Zustiegsschuhe mit Vibram-Sohle und wasserdichter Gore-Tex Membran zum gehobenen Preis wurde mir empfohlen. Zwei leistbare Paar Sportsocken vom Kaffeeröster ums Eck fanden ebenfalls den Weg in meinen Besitz.
Die Schuhberatung im Sportfachgeschäft erweist sich aus heutiger Sicht als eine der größten Erkenntnisse meines Outdoorlebens. Traue niemandem mehr als deinem eigenen Gefühl und Verstand wenn es um Schuhe geht. Die Zustiegsschuhe mit kaum vorhandener Dämpfung haben meinen Füßen auf den endlosen Asphaltpassagen stark zugesetzt. Jeder Schlag wurde quasi direkt in meine Wirbelsäule und meinen restlichen Körper weitergeleitet. Die größte im Geschäft verfügbare Größe erwies sich dennoch als zu klein. Blasen und Scheuerstellen hinten, vorne, unten und oben an den Füßen waren das Resultat. „Ne, die passen schon. Größer sollten sie nicht sein!“, ernstgemeinter Ratschlag oder umsatzfördernde Aussage? Die verarbeitete wasserdichte Gore-Tex Membran in Verbindung mit den „leistbaren“ Sportsocken schufen ein schwitzfeuchtes Biotop in meinen Schuhen. Die hochsommerlichen Temperaturen trugen nicht unwesentlich dazu bei. Feuchte, aufgeweichte Haut in Verbindung mit Reibung durch zu kleine Schuhe. Leider gibt es in diesem Fall keinen guten Ausgang. Niemals, in keinem Szenario.
Um die Reibung zu minimieren, dem Gefühl offener Blasen auszuweichen und den durch die zu kleinen Schuhe schmerzenden Fußgewölben Entlastung zu bringen wurde ich kreativ. Ich entledigte mich periodisch meiner Schuhe und ersetzte diese abwechselnd durch meine Flip-Flops. Auf Dauer stellte sich dies jedoch als kontraproduktiv heraus. Wandern in Flip-Flops, völlig ungeübt, verstärkte den Schmerz in meinen Füßen. Meine Füße fühlten sich sprichwörtlich platt an. Die Gummiriemen verlagerten die Reibung nur an andere Stellen.
Den Schmerzen in den Füßen gebe ich im Nachhinein den größten Anteil an meinem Scheitern. Die schmerzenden Schultern, die Pein im Rücken, der pochend heiße Kopf, der ausgetrocknete Mund und all die anderen Leiden verblassen im Angesicht jener der Füße. Schultern, Rücken und Kopf, hier verschoben sich die Schmerzen periodisch, konnten teilweise ausgeblendet werden. In den Füßen waren sie jedoch spätestens am Ende von Tag 2 omnipräsent.
Die Wahl der richtigen Schuhe ist wesentlich für den Erfolg einer Weitwanderung. Die Investition in gute Socken lohnt sich ebenfalls. Damals sah ich Socken nur als Socken. Heute weiß ich, dass Socken ganz wesentlich in einem gut funktionierenden System um die Füße sind.
4. Ehrgeiz & Stolz
Ehrgeiz und falscher Stolz haben bereits unzählige Weitwanderungen ruiniert. Klischeebehaftet werden diese Attitüden gerne Männern und im Besonderen jungen Männern angedichtet. Mit dem nötigen Abstand kann ich von mir sagen, dass ich damals dieses Klischee erfüllt habe. Der Ehrgeiz hat mich dazu getrieben die Weitwanderung zu schnell anzugehen, zu schnell und insbesondere zu weit zu gehen. Mein Stolz hat mich davon abgehalten diesen Irrtum einzugestehen, ihn rechtzeitig zu korrigieren. Der Stolz hat mich also eben davor abgehalten früher „aufzugeben“, meine Fehler einzugestehen. Ab einem gewissen Punkt hat sich in meinem Kopf eine Pilgermentalität eingestellt: „Das muss so sein, Weitwandern ohne Schmerzen geht gar nicht. Andere unterdrücken den Schmerz nur besser oder zeigen ihre Qualen nicht so offen wie ich.“
Alles Blödsinn. Ein Gefühl für den eigenen Körper. Ein Gehör für die eigenen Leiden. Den Mut Schmerzen und Fehler einzugestehen, frühzeitig zu reagieren und Dinge zu ändern. All das sind wahre Stärken auf einer Weitwanderung.
Zugegeben bergen mein Ehrgeiz und Stolz auch heute noch Gefahren auf meinen Touren. Mit mehr Erfahrung und gesteigerter Fitness werden höhere Ziele gesetzt, weitere Distanzen anvisiert und immer mehr Höhenmeter angestrebt. Dabei gilt es immer ein Auge auf den eigenen Ehrgeiz und Stolz zu bewahren und das diese nicht die Überhand gewinnen.
5. Fitness
Meine erste Weitwanderung war konditionell keine große Hürde, Höhenmeter gab es praktisch keine zu bewältigen. Mein Bewegungsapparat war den hohen Strapazen jedoch nicht gewachsen. 40 Kilometer auf Großteils hartem Untergrund als Einstiegsetappe. Auch heute bin ich der Ansicht, dass ein durchschnittlich fitter Mensch diese Leistung an jedem x-beliebigen Tag erbringen kann. Reihen sich an so eine Etappe aber eine zweite, dritte und weitere Etappe ähnlichen Ausmaßes, dann sieht das ganze anders aus. Die hohe körperliche (und mentale) Belastung und mangelnde Erholung zwischen den Etappen führt zu einem stetigen „Verschleiß“. Das Ganze kann mit einem Akku verglichen werden der entladen und –aufgeladen wird. Wird während eines Tages mehr Energie entladen als über Nacht wieder aufgeladen werden kann und wiederholt sich das ganze Tag für Tag, dann ist der Akku irgendwann sprichwörtlich leer. Bei mir war dieser Punkt recht schnell erreicht. Mein ungeübter Bewegungsapparat wurde mit jedem der vielen Tausend Schritte weiter beansprucht, konnte sich über Nacht aber nicht ausreichend erholen. Fehlende Muskulatur, mangelnde Resilienz von Bändern, Sehnen und Gelenken führten zu immer stärker werdenden Beschwerden und Schmerzen. Diese führten schlussendlich zum Abbruch der Tour.
Fit wirst du am Weg. Das ist ein oft publizierter Leitsatz in vielen Online-Foren und -Blogs, wenn es um die erforderliche Fitness vor Beginn einer Weitwanderung geht. Dieser Effekt setzt allerdings nur auf Touren ab einer gewissen Dauer ein und setzt außerdem etwas Geduld in der Eingangsphase einer Weitwanderung voraus. Auf einer beispielsweise 1-wöchigen Weitwanderung reicht die Zeit für körperliche Anpassungen auf Grund der erhöhten Ansprüche schlicht nicht aus um den Körper und die Fitness entsprechend auszubilden. Umgekehrt ist es kaum möglich den Körper bereits vor einer mehrmonatigen Tour bereits auf das Leistungsniveau welches sich während dieser langen Dauer einstellen wird zu bringen. Die Simulation der stunden- und tagelangen Effekte der Tour sind im Alltagstraining zeitlich schlicht nicht möglich.
Aber ganz egal wie lange eine geplante Tour werden soll, fitness is key. Versuche stets mit möglichst hohem Fitnesslevel und bestmöglich ausgebildeter physischer Belastbarkeit an den Start einer Weitwanderung zu gehen. Wohlgemerkt spreche ich hier von spezifischer Fitness und Belastbarkeit. Tägliches Bankdrücken und Bizepstraining hilft dir vielleicht beim Schultern eines schweren Rucksacks, für hohe Tagesdistanzen und stundenlanges wandern ist der Körper deshalb nicht besser vorbereitet. Vorhandene Ausdauer und Belastbarkeit erleichtern jede Weitwanderung, egal ob im flachen Gelände oder in bergigem Terrain. Schmerzen treten minimiert oder verzögert auf, im Idealfall gar nicht. Das Unterfangen geht leichter von der Hand und macht deutlich mehr Spaß.
Ich hätte mich im Juli 2011 als durchaus fitten Menschen bezeichnet. 3-5 Wocheneinheiten im Fitnessstudio waren damals üblich für mich. Meine Oberkörpermuskulatur war recht gut ausgebildet, der Ärmelumfang meiner T-Shirts wurde damals ausgefüllt. Meine Beine wurden allerdings schwer vernachlässigt (Die wenigsten mögen den „leg day“ im Fitnessstudio). Um meine Ausdauer stand es aus heutiger Sicht noch bescheidener. Abseits der alltäglichen Dinge wie beispielsweise Wege für Erledigungen oder mit dem Hund Gassi gehen gab es nicht viel Nennenswertes an Training für meine Lungen und den Bewegungsapparat rund um meine Füße und Beine.
Heute achte ich das ganze Jahr über auf meine Fitness. Mein Ansatz ist heute jener, dass ich jederzeit bereit sein möchte für eine anspruchsvolle Weitwanderung. Sollte ich spontan entscheiden das ich beispielsweise zu einer Alpenüberquerung aufbreche, dann möchte ich allzeit bereit sein die Tour genießen zu können. Dieser Genuss stellt sich bei mir nur bei Abwesenheit grober Schmerzen und Leid ein. Im Idealfall ist das Fitnessprogramm sportspezifisch, d.h. die Bewegungen, Belastungen und angesprochenen Körperregionen im Training entsprechen denen des Zieleinsatzes. Für Weitwanderungen empfiehlt sich also primär (Berg-)Wandern mit und ohne Rucksack, (Trail-)Laufen, spazieren gehen und im erweiterten Maße sämtliche Sportarten welche die aerobe Ausdauer trainieren (generell Ausdauersportarten wie z.B. (Renn-)Radfahren, Langlaufen, etc.).
6. Ernährung
Um meiner ersten Weitwanderung einen gewissen Thoreauschen „Touch“ zu verleihen war der Plan ohne mitgeführter oder (nach)gekaufter Lebensmittel auszukommen. Ansätze wie „die Natur bzw. deine Umwelt gibt was du gerade brauchst“, haben für meinen Vater auf seinen vergangenen Weitwanderungen funktioniert. Wieso sollte es also für mich nicht so sein?
In meiner doch vorhandenen Skepsis habe ich immerhin eine Handvoll Müsliriegel in meinem Gepäck deponiert. Vorweggenommen, ein paar günstige Müsliriegel aus dem Supermarkt decken meinen Energiebedarf auf Tour nicht einmal ansatzweise. Das haben sie damals nicht und das tun sie auch heute nicht. Mein Körper wusste damals auch weniger effektiv als heute, wie er Energie per Fettstoffwechsel generiert. Ein optimierter Fettstoffwechsel erfordert Training und Anpassung.
Mein Weitwandermotor lief also das erste Mal in seinem Leben auf Hochtouren und verbrauchte Unmengen an Energie. Nur unwesentliche Mengen wurden ihm wieder zugeführt. Einer der wenigen Müsliriegel hie und da, ein paar Marillen oder Ringlotten vom Wegesrand. Die Müsliriegel hielten mich gerade so am Gehen, die fruchtigen Zwischensnacks führten eigentlich nur zu Verdauungsproblemen. Irgendwann während dem dritten Tag musste ich das Fasten brechen. Schmerz und Leid waren bereits meine ständigen Begleiter. Wir entschieden wenigstens eine Last von meinen Schultern zu nehmen und Nahrung „zuzukaufen“. Freudig wartete ich also am Dorfplatz eines kleinen slowakischen Dorfes auf die paar Kalorien die mein Vater aus dem Dorfladen schleppt. Ein mental stärkender Moment war es. Eine entscheidende Wende brachte der unverhoffte Kalorieninput allerdings nicht mehr. Zu weit fortgeschritten war mein Stadium des Verfalls.
Eklatante Energiedefizite versuche ich heute zu vermeiden. Zu groß sind die Folgen auf meine Leistungsfähigkeit. Hunger, mangelnde Regeneration, Defizite an Salzen und Elektrolyten, Leistungsabfall, etc. sind Folgen welche ich versuche zu eliminieren. Ein genaues Ermitteln eines Gleichgewichtszustandes in dem z.B. die Kalorienaufnahme dem Energieverbrauch entspricht praktiziere ich nicht. Ich achte darauf eine möglichst hohe Kaloriendichte mit auf den Weg zu nehmen. Also möglichst leicht und hochkalorisch soll mein Proviant sein. Gourmetansprüche stelle ich keine. Praktikabel soll es sein. Ungekocht genießbar, vegetarisch-vegan, halbwegs schmackhaft, kleines Gewicht – kleines Packmaß – viele Kalorien, leistbar, das sind die Hauptfaktoren bei der Auswahl meiner Lebensmittel für unterwegs.
Fazit
Dass man aus Fehlern am besten lernt zeigt sich für mich mit einigen Jahren Abstand am deutlichsten. Mir ist es wichtig neben all dem Glanz, den Triumphen und den Erfolgsgeschichten die sich aus dem Weitwandern ergeben auch die ungeschönte Wahrheit und Realität zu zeigen. Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Beharrlichkeit, Erfahrung, offene Ohren und Akzeptanz für Neues sowie Flexibilität sind die Faktoren zum Erfolg. Zumindest waren sie es in meinem Fall. Niemals hätte ich am Ende meiner ersten Tour gedacht, dass ich einige Jahre später zum leidenschaftlichen Weitwanderer und Trail Läufer gereift bin. Ich hätte es für unmöglich gehalten die Leistungen die ich heute bringe auch nur ansatzweise schmerzfrei zu überstehen. Aus Leid wurde Genuss. Traurig blicke ich auf all jene die auf ihren Touren leiden wie ich damals. Auch ich dachte damals, dass lange Strecken in der Natur zwangsläufig zu Schmerzen führen. Unangenehm sein müssen. Im Sinne einer sich selbst geißelnden Pilgermentalität geschehen müssen. Ich habe mich getäuscht. Ich hoffe das die Erfahrungen die ich gemacht habe, anderen Einsteiger*innen dabei helfen die eigenen Touren von Beginn an schmerzfrei und genussvoll zu erleben.
4 Kommentare
Well done, son!
Ungemein lehr- und hilfreich: sollte jeder Einsteiger in die (Weit)Wandererei eigentlich unbedingt lesen !
Männer überschätzen sich halt gerne und aus dem Halbstarken Affen (Sandkasten-Tarzan) zu Beginn der Wanderung wird schnell ein jammernder Warmduscher 🙂
Ich gebe dir recht, dass sich insbesondere männliche „Abenteurer“ gerne überschätzen. Wichtig ist aber, dass sie (und wir alle) aus unseren Fehlern lernen, dann werden wir auch „bessere Abenteurer“ 🙂